Warum Peter Wicke glaubt, dass die Band weitermachen wird.
Und was die Musiker seiner Ansicht nach aus der DDR in den Westen mitgenommen haben.
Herr Wicke, alles, was die Musiker von Rammstein sagen und singen, weist auf ihre baldige Auflösung hin. Stimmt der Eindruck?
Sowohl Paul Landers wie Richard Kruspe als auch Flake Lorenz haben während ihrer letzten Tour auf diese Frage geantwortet, dass sie jetzt erst einmal eine längere Pause machen und dann weiter sehen werden. Das lässt alles offen. Das Alter ist bei den Rockern kein Thema mehr, wie die Rolling Stones vorleben. Dass die letzten Texte von Till Lindemann auf das nahe Ende der Band hindeuten könnten, haben mit Ausnahme von Lindemann alle Bandmitglieder vehement bestritten. All das besagt nicht viel. Aber da Rammstein immer wieder jahrelange Pausen eingelegt haben, bleibt bis zur offiziellen Auflösung der Band tatsächlich alles offen.
Täuscht der Eindruck, oder empfinden Sie als ehemaliger DDR-Bürger eine ostdeutsche Solidarität für diese Gruppe
Unbewusst wahrscheinlich schon, zumal die westlichen Angriffe auf die Band seit ihrer Gründung immer auch die ostdeutsche Herkunft ins Spiel brachten.
Was ist spezifisch ostdeutsch an Rammstein, das wir im Westen nicht verstehen?
Verstehbar ist im Westen alles, wenn man denn will. Für spezifisch ostdeutsch halte ich die schon fast panisch zu nennende Angst der Musiker vor Anpassung, die auf eine typische ostdeutsche alternative Identität verweist. Ebenfalls mit ihren ostdeutschen Auffassung hat eine Vorstellung von Kunst zu tun, die unter allen Umständen auf gesellschaftliche Wirkung aus ist. «Kunst als Waffe» nennen Rammstein das.
Auf welche gesellschaftliche Wirkung zielt die Band denn ab? Den Beweis zu erbringen, der Mensch sei eine Bestie?
Nein, so ist das zu pauschal formuliert. Ohnehin ist es nicht Aufgabe der Kunst zu sagen, was ist. Rammstein bringen in dem Theaterspektakel, das sie vorführen, auch die Schrecken des Menschseins auf die Bühne. Wir sollen uns damit auseinandersetzen, was wir bejubeln und feiern. Gerade weil Rammstein das auf eine Weise machen, die unter die Haut geht, konfrontieren sie uns mit der Frage, was das mit uns zu haben könnte. Im Übrigen sollte man nicht immer gleich nach der gesellschaftlichen Wirkung fragen. Wenn Rockmusik etwas bewirkt, ist doch schon viel gewonnen.
Sie sagen, die Angst vor Anpassung sei bei Rammstein Ausdruck einer alternativen Identität. Wie muss man das verstehen?
Entweder man hat in der DDR mit dem System kollaboriert oder sich davon ferngehalten – mit allen Nachteilen, die sich daraus ergaben. Die Musiker von Rammstein entschieden sich für das Zweite. Aus dieser Haltung heraus reagierten sie nach dem Mauerfall auch misstrauisch auf Vereinnahmungsversuche des Westens. Derselbe Trotz veranlasste sie, härter und konsequenter aufzutreten als alle anderen. Dabei lassen sie sich von niemandem dreinreden. Bis heute nicht.
Man hat der Band vorgeworfen, mit nationalsozialistischen Emblemen zu spielen. Kokettiert die Band mit dem Faschismus?
Das halte ich für einen absurden Vorwurf. In ihren Liedern sind so viele Widersprüche, Ironien und andere Brechungen eingebaut, dass diese alleine belegen, mit welcher Intelligenz und mit welchem Humor Rammstein diese Stücke komponieren und damit jedem und allem die Eindeutigkeit nehmen. Sie verstehen ihre Shows als Theater, und Till Lindemann schreibt über die Grausamkeit des Menschen, weil er sie darstellen will, nicht weil er sie gutheisst. Müssen wir wirklich noch darüber reden, dass Literatur und Poesie mit dem lyrischen Ich operieren, das nicht mit dem Ich des Autors zusammenfällt?
Das Video zu «Stripped» zitiert Leni Riefenstahls Olympia-Film, das Logo der Band gleicht dem Eisernen Kreuz, ein Live-Album der Band nennt sich «Völkerball», Till Lindemann singt seine Text mit dem tief rollenden «R», das bis heute mit der Diktion von Adolf Hitler assoziiert wird. Zugleich geben sich Rammstein immer erstaunt, wenn man sie auf solche Ähnlichkeiten anspricht. Finden Sie das glaubwürdig?
Selbstverständlich ist so etwas kritisch zu sehen. Was Sie als ein scheinbares Erstaunen der Band anführen, würde ich eher als fehlendes Gespür für den Kontext der Symbolik bezeichnen, die sie benutzen. Rammstein leben nach der postmodernen Vorstellung, dass es ästhetische Zeichen geben könne ohne Kontext. Sie übersehen dabei, dass es gerade in Deutschland nicht geht, die Geschichte zu ignorieren. Vergessen Sie aber nicht, dass sich die Gruppe mit ihren Liedern und Texten nicht auf den Faschismus bezieht, sondern den ostdeutschen Rigorismus karikiert. Der als Marsch rhythmisierte Song «Links 2, 3, 4» zum Beispiel ist sowohl eine Parodie der ostdeutschen Militärparaden als auch ein politisches Bekenntnis. In diesen Zusammenhang gehören auch die Zeilen aus dem Song «Deutschland»: «Deine Liebe ist Fluch und Segen / Meine Liebe kann ich dir nicht geben».
Sie sagten kürzlich in einem Interview, der Westen sei «anders schlecht» als der Osten. Wie meinen Sie das?
Das hat der viel zu früh verstorbene ostdeutsche Schriftsteller Thomas Brasch, der 1976 nach der Ausbürgerung von Wolf Biermann die DDR verlassen hatte, auf eine bündige Formel gebracht: «Im Osten habe ich mir den Kopf an der Mauer blutig geschlagen, im Westen ist die Mauer aus Gummi, und daran gleitet alles ab.»
Interview: Jean-Martin Büttner
Der ostdeutsche Musikwissenschaftler Peter Wicke (*1953) lehrte als Professor für Theorie und Geschichte der populären Musik an der Ostberliner Humboldt-Universität. Er hat zahlreiche Bücher über sein Fachgebiet publiziert (https://www.popmusicology.org/index.html)